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Der Duft der Entfaltung

Autorenbild: Zsuzsanna EisZsuzsanna Eis

Aktualisiert: 18. Okt. 2023


Eine junge Nonne wanderte im späten April gedankenversunken durch den großzügig angelegten Obstgarten des Klosters. Sie konnte sich kaum satt sehen an den zarten Blüten der Kirsch- und Apfelbäume. Sie bewunderte die Varianz, die sich innerhalb der Farbtöne zeigte.

Vom Duft der Blüten berauscht dachte sie bei sich, wie schön es doch wäre, könnte sie von dieser Lieblichkeit bis in die Nacht hinein getragen werden.

So begann Sie behutsam kleine, von Blüten umschlossene Äste für sich vom Baum zu trennen.


Groß war ihre Freude darüber, mit dem Anblick und dem wohltuenden Duft am Abend, einzuschlafen!

Tage vergingen, ihre Nase hatte sich längst an den Duft gewöhnt und die Farben verloren an Glanz und Varianz, denn sie wurden ihr alltäglich.

Furchtbar enttäuscht über die viel zu schnell vergangene Schönheit, warf Sie ihren Strauß in einen offenstehenden Behälter und widmete sich ihren Gebetsbüchern.


Am selben Abend betrat die Mutter Oberin die Räume der jungen Nonne, um sie zu einem Gespräch zu bitten.

Der wohltuende Duft ließ sie schnell das achtlos entsorgte Bukett bemerken.

Mit ruhiger Stimme fragte sie: „Liebe Schwester, weshalb habt ihr diese Gewächse ihrer Bestimmung beraubt? Diese Blüten wollten zu wohlschmeckenden Kirschen und Äpfeln heranreifen.“

Beschämt erklärte die junge Nonne ihre anfängliche Euphorie und der darin liegenden Hoffnung, ihren Moment des Glücks in Ihre Gemächer tragen und halten zu können.


Die Mutter Oberin sah sie mitfühlend an und entgegnete ihr:

„Meine liebe Schwester. Wie könnten diese Blüten jemals als Glück eure Gemächer füllen, wenn Sie sich doch zu sehr auf ihre geblendeten Sinne verlassen. Dem Ursprung ihres Glücks nahmen Sie erst die Freiheit zur Entfaltung und entzogen ihm dann Ihre Bewunderung.“








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